Frankfurter Allgemeine Zeitung
Feuilleton
Samstag, 23.04.2011, Nr. 95 / Seite 34
Was vorher in Haute Cuisine und Regionalküche geteilt war, hat Wolfgang Raub in Kuppenheim jetzt zu einem einzigen Lokal vereinigt: zu "Raubs Landgasthof".
Wolfgang Raub hat da etwas Riskantes gemacht. Der sechsundfünfzigjährige Koch aus Kuppenheim hat sein hochdekoriertes Gourmetrestaurant ("Raubs Restaurant") und sein Zweitrestaurant mit regionaler Küche ("Kreuzstübl") zu "Raubs Landgasthof" zusammengefasst. Ein solcher Schritt ist riskant, weil vor allem Restaurantführer mit eher begrenztem Horizont mit so etwas immer noch Schwierigkeiten haben. Es ist nach wie vor einfacher, mit ein wenig Spitzenküchen-Talmi zu Ehren zu kommen als zum Beispiel mit einer hervorragend gemachten Regionalküche. Führer, die Raub wohlgesinnt sind, haben sich für einen leicht ermäßigten Mittelwert entschieden. Das klingt plausibel.
Aber was wäre, wenn sich im "Landgasthof" das Beste aus beiden Welten addiert? Man kommt in den hellen, recht individuell, aber nicht forciert umgestalteten Räumen des ehemaligen "Kreuzstübl" schnell auf solche Ideen und beginnt geradezu systematisch, die beeindruckenden Qualitäten dieses Kochs zu registrieren.
Die Rotbarbe in Süßholznage mit Kohlrabi und Palourdes etwa zeigt gleich mehrere Stilmerkmale. Da wäre erstens ein bestens klassisch fundiertes Verständnis von Produktqualität und -behandlung. Die exzellente Rotbarbe mit ihrem Hauch von Aromatisierung durch die unaufdringliche Nage kann man pur essen und hat alles, was eine perfekte Inszenierung braucht. Sie wird durch die wie Gnocchi aussehenden Stückchen junger Kohlrabi nicht bedrängt, sondern - vor allem im Zusammenhang mit den jodigen Noten der Palourdes - überraschend originell erweitert.
Diese - sagen wir: vorsichtige - Originalität ist ein zweites Charakteristikum von Raubs Küche, die bei jedem Teller mit den für große Köche so wichtigen Aha-Erlebnissen glänzt. Nach einundvierzig Jahren am Herd besitzt Raub nicht etwa die schläfrige Routine mancher Kollegen in fortgeschrittenem Alter, sondern jenen wundervollen Stil, der in alle möglichen Richtungen fundiert wirkt und unkopierbar ist.
Bei den "Involtini von Seezunge und Langustine mit Papaya und rosa Grapefruit" mag man vom Titel her Plakatives fürchten. Was tatsächlich erscheint, lässt Raub als Vorläufer der aktuellen Avantgarde dastehen. Bei Sergio Herman, dem Weltstar im "Oud Sluis" im niederländischen Sluis, ist die Kombination von Olivenöl mit Zitrusfrüchten ein wichtiger Bestandteil seiner Küche. Hier wird sie seit zwanzig Jahren praktiziert, und das mit einem glasklaren Fokus auf Frische und Natürlichkeit. Die Seezungenrolle mit ihren Kräutern bleibt klassisch angelegt, erhält aber durch die hier immer zarte und zurückhaltende Interpretation eine enorme Präsenz, eine Entmaterialisierung, die gleichzeitig Konzentration und Purismus bringt.
Bei Raub wird - drittens - nicht an den Dingen gearbeitet, um ihnen eine betont fotogene Form zu geben. Entspanntheit liegt über dem Teller, wenn sich beim "Sous Vide gegarten Bauch vom Mangalitza-Schwein mit marinierten Jakobsmuscheln, Apfel und Fenchel" auch ohne sprießende Deko-Elemente eine intensive sensorische Struktur ergibt. Sie reicht hier unter präziser Anwendung des kontrastierenden Prinzips von einer krachend krossen (aber nicht harten) Schwarte des Schweinebauchs bis zu den schmelzend-weichen Scheiben der Jakobsmuscheln, der wieder originellen Aromatik und Frische von Apfel und Fenchel bis zu einer Verstärkung der vegetabilen Elemente durch einen Kräutersalat oder einer durch und durch gerösteten Fenchelscheibe, die zwar "unordentlich" aussieht, aber eben nur so ihren phantastischen Geschmack erreicht.
Zwischendurch schweift der Blick durchs Restaurant, und man versucht zu begreifen, was hier denn so anders wirkt. Es hat etwas Eigenwilliges, etwas Nicht-Konfektioniertes, auch einen Hauch von "Babettes Fest", weil ganz offensichtlich die Erwartungen mancher Gäste immer wieder übertroffen werden. Den Service machen im wesentlichen Raubs Ehefrau und seine Schwester, und das seit zweiunddreißig Jahren, enorm schnell und präzise und freundlich und mit ihrem besonderen Charme doch völlig anders als diejenigen, die so etwas trainieren müssen. Manchmal scheint es, als wäre man hier bei einer geheimnisvollen Gemeinschaft zu Gast, denen ein ganz besonderes Küchen- und Gastronomie-Gen zu eigen ist.
Derweil serviert die Küche eine traditionelle regionale Spezialität, das "Saueressen" vom Schwein mit Birnen und schwarzen Nüssen, also eine Versammlung von Innereien vom Schwein, so wie sie traditionell kurz nach der Schlachtung zubereitet wurden. Raub macht das hervorragend, weil sensorisch perfekt. Die Fassung für die Innereien mit einer tiefen Sauce und den Fruchtnoten und der Süße der eingelegten Walnüsse entwickelt ein präzise stützendes Aroma. Aber es geht um Unterstützung und nicht um Übertünchen. Die Größe der Stücke von Leber, Herz und Niere sind exakt so bemessen, dass sich ein glänzend gefasster Eigengeschmack entwickelt.
Völlig überzeugend ist auch, was Raub schlicht "Feines vom Lamm mit jungem Knoblauch" nennt. Man bekommt ein Kotelett, eine Scheibe gefüllte Brust, Leber, Bries, Niere und ein Stückchen echtes Filet, dazu die Scheibe einer Knoblauchknolle und ein Gemüse aus kleinen weißen Bohnen und kleinen Saubohnen. Raub scheint das Material zu streicheln, ohne jede Kraftmeierei mit jenem Raffinement, das sich nur ergibt, wenn man hartnäckig und ohne jedes Klischee den Einsichten eines langen, wohlreflektierten Kochlebens folgt. Die Lamminnereien, die ohnehin in ihrer feinen Aromenstruktur denen des Kalbs oft überlegen sind, werden zum schieren Spitzenprodukt - nicht per Akklamation und Preis, sondern ganz und gar aus eigenem Recht.
Nehmen wir also das Ländliche dieses Landgasthofes als Synonym für eine mit viel kulinarischem Augenmaß gesteigerte Natürlichkeit. Ohne Licht gibt es keine Bilder. Wolfgang Raub und seine Familie haben mit ihrem neuen Konzept das Zeug zu einem Kultrestaurant. Für jene, die schon schmecken oder noch schmecken können.
JÜRGEN DOLLASE
[Bildtext:]
Zeichnung Oliver Sebel
Serie: Geschmacksache
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